Laager Erinnerungen

Eine Zeitreise durch Laage

Als der Laager Bahnhof noch ein Bahnhof war und Hugo Hehl die Züge abfahren ließ

Vorbemerkungen:

Dieser Titel ist etwas ungewöhnlich. Er ist aber bewusst so gewählt, denn der Laager Bahnhof, einst ein Bahnhof von regionaler Bedeutung, ist mittlerweile zur Bedeutungslosigkeit geworden. Er ist heute nur noch ein Haltepunkt für kleine Zugeinheiten des Personennahverkehrs.

Schon seit einigen Jahrzehnten ist der Güterverkehr so gut wie eingestellt. So bleiben heute nur noch die Erinnerungen an Zeiten, als der Laager Bahnhof noch mit Leben erfüllt war. Dazu muss man jedoch einige Jahrzehnte zurückschauen. Das möchte ich mit diesem Beitrag tun, nicht mit Zahlen und Statistiken, sondern mit persönlichen Erinnerungen sowie mit Hilfe von Bildern und Zeitzeugen.

Bahnhof Laage

Es ist die Zeit der ersten Nachkriegsjahre, als ich mit meinen Spielfreunden aus der St.-Jürgen-Straße und Bahnhofstraße oben auf dem Bahnhofsberg gesessen habe und wir so das gesamte Treiben auf dem Bahnhof beobachten konnten. Hier oben auf dem Berg konnten wir den gesamten Bahnhof übersehen. Ganz rechts, vorbei am Hauptgebäude, die Ausfahrt nach Rostock mit der anschließenden stark ansteigenden Linkskurve und der Recknitzbrücke und nach links die Ausfahrt in Richtung Güstrow mit dem Hintergrundbild der Henningsmühle, der Wiesen rechts und links des Bahndamms und des Subziner Waldes. Dieses großartige Panorama, einmal gesehen und nie mehr vergessen.

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Zwar hatten wir am frühen Morgen die abfahrenden Personenzüge in Richtung  Rostock und Güstrow mit den vielen Berufspendlern nicht gesehen, da wir ja noch schliefen, aber wenn sie am Abend zwischen 17 u. 18 Uhr heimkehrten, dann sahen wir die vielen Menschen in Richtung der Stadt gehen. Es waren einige Hunderte, die diesen Weg täglich gingen.

Hugo Hehl schreibt in seinen Erinnerungen von etwa 400 Menschen, die in der Hochzeit dieser Entwicklung diesen Weg täglich zweimal gingen. „Wenn eine Straße erzählen könnte“, so schreibt er in seinen Erinnerungen, „dann ist es diese Straße.“ Er selbst wurde in dieser Straße geboren und ging fast 50 Jahre lang als Bahnangestellter diesen Weg zur Arbeit. Von 1965 bis 1990 als Bahnhofsvorsteher mit zeitweise 60 Beschäftigten. (Einbezogen Beschäftigte der Außenstellen in Diekhof, Subzin – Ließow, Flugplatz Rostock – Laage).

Schon während des Krieges brachte der sogenannte „Heinkelzug“ jeden Morgen um 5.03 Uhr die Arbeiter in die Heinkelwerke nach Rostock- Marienehe.  In Richtung Güstrow fuhr jeden Tag ein Zug in die sogenannte „Muni“ (Munitionsfabrik) nach Diekhof. Gegen Abend kamen die Züge dann wieder zurück. Die Lok des Heinkelzuges wurde die gesamte Nacht unter Dampf gehalten, um am frühen Morgen wieder einsatzbereit zu sein.

Nach Kriegsende waren es dann jeden Tag die Pendler, die nach Rostock gebracht wurden, um mitzuhelfen, die Stadt Rostock wiederaufzubauen und die neu entstandenen Betriebe, wie u.a. die Werften und Baubetriebe mit Arbeitskräften zu versorgen. Alles erfolgte zunächst nur über die Bahn. Auto- und Omnibusverkehr gab es seinerzeit noch nicht. Obwohl der gesamte Expressgüterverkehr in den ersten Nachkriegsmonaten fast völlig zum Erliegen kam, nahmen andere Warenbewegungen über den Bahnhof enorm zu. Lange Zeit lagerten riesige Stapel mit Schnittholz aus Kiefern, Buchen und Eichen auf dem Bahnhof und warteten auf die Verladung auf „Reparationszüge“, die in Richtung Sowjetunion abgingen. Von der Sägerei Bremer wurden monatelang Schnittholz und Eisenbahnschwellen angeliefert, verladen und auf Reisen geschickt. Die Verladung der Langholzstämme erfolgte am Speicher von Hugo Lüth und Sohn am Ziegeleigleis mit einem Verladekran.

Über den Laager Bahnhof rollten die Repazüge mit allerlei Gütern, Fabrikeinrichtungen und Kohle zum Rostocker Stadthafen. Hinzu kam, dass die Strecke über Schwaan 1948 demontiert worden war. Alle aus dem Süden ankommenden Güterzüge mussten also über Laage. Hier kam es dann zu Staus, die wiederum die Verladung behinderten. Das hatte wiederum zur Folge, dass sich an der einzigen Waage und auf der Bahnhofsstraße lange Fahrzeugschlangen bildeten. In den Sommermonaten hörten wir dann das unerträgliche Gebrüll der Rinder und Schweine, die sich bereits auf der Viehrampe befanden bzw. noch vor der Waage warteten. Der Viehtransport hatte enorm zugenommen, denn in den Großstädten des Ostens und der späteren DDR mangelte es an Fleischwaren.

Die für die Landwirte eingeführten Pflichtablieferungen sicherten ein entsprechendes Aufkommen, um wöchentlich ganze Zugeinheiten mit Schlachtvieh abzufertigen. Viele „hartgesottene“ Männer meldeten sich dann als Begleitpersonal für diese Züge und brachten das gestresste Vieh zum Zentralschlachthof nach Berlin. Doch bevor sie in Laage abfuhren, mussten sie über die einzige, auf dem Bahnhof befindliche Waage, die sich rechts im Bereich der Schienenüberquerung zur Henningsmühle befand. Diese Waage lieferte nicht nur das Gewicht der Tiere, sondern auch den Beleg für die getätigten Pflichtablieferungen. Im Herbst während der Erntezeit erfolgte über diese Waage auch die Bestimmung der Gewichte der abzuliefernden Rüben, Kohl, Kartoffeln und Getreide. Auch diese „Waage“ könnte Geschichte schreiben, denn ohne nicht gewogen zu sein, ging nichts über die „Rampe“.

Hugo Hehl schreibt dazu in einem Kapitel seines unveröffentlichten Buches „Eine Straße schreibt Geschichte“ u.a folgendes:

„Zu einer Ackerbürgerstadt, wie Laage in alten Ortschroniken beschrieben wird, gehört auch eine Waagschale für Ackerwagen, um die Feldfrüchte abzuwiegen. Diese lag auf dem Bahnhofsvorplatz und wurde vom Mühlenbetrieb Lüth u. Sohn unterhalten. Der Wiegemeister wohnte gleich nebenan im Haus Nr. 30, das war zu damaliger Zeit Wilhelm Lücht. Später zu Zeiten des VEAB (Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb) wurde das Wiegen von Fritz Lasarzig und Heinrich Evert vorgenommen. Ein Wiegemeister war eine Vertrauensperson, galt doch das ermittelte Bruttogewicht nach Rückverwiegung von dem Fahrzeug (Tara) das mit Trockenstempel ausgedruckte Nettogewicht als Beweis für das abgelieferte landwirtschaftliche Produkt. Er hatte auch ein Auge darauf zu halten, dass auch ja nicht ein Pferd noch mit einem Fuß auf der Waage stand“.

In späteren Jahren übernahm auch der VEAB mit einer modernen Viehverladeeinrichtung die gesamte Export – Viehverladung von drei Kreisen des Bezirkes Schwerin.

Bei Hugo Hehl heißt es dazu u.a.:

„So waren hier ständig Viehtransportautos anzutreffen, die Schafe, Schweine und Bullen anlieferten. Regelmäßig gingen mit der Bahn Bullen nach Italien über den Sankt Gotthard in den Alpen und durch den Kanton Tessin. Es machte Spaß, dafür das Telex abzusetzen“.

Die Verladung von Rüben, Kohl und Kartoffeln, insbesondere in den ersten beiden Nachkriegsjahren, bleiben in ganz besonderer Erinnerung.

Meine damaligen Freunde und ich waren 10 bis 11 Jahre alt und wie schon des Öfteren beschrieben, verlegten wir unseren Spielplatz zum Bahnhofsberg, oberhalb der Verladegleise unmittelbar am Hang des Berges. Von hier aus, auf der halben Höhe des Berges, beobachteten wir die täglichen Verladungen.

Bei Beladungspausen schlugen wir dann zu. Schnell kletterten zwei von uns auf den Waggon und warfen die Kohlköpfe, Zuckerrüben oder andere essbare Produkte auf den Zwischenhang der Anhöhe. Von dort brachten andere die „geklauten Produkte“ ganz nach oben. In Deckung des Waldes und vorbei an der Hühnerfarm Michels ging es dann über den Ückerweg nach Hause. Trotz des Diebstahls waren wir stolz etwas für die Familie getan zu haben.

Bei unseren Beobachtungen stellten wir aber auch fest, dass örtliche Betriebe, hier war es besonders die ehemalige „Chemische Fabrik“, später als VEB Milchzuckerwerk Laage bekannt geworden, das Geschehen auf dem Bahnhof mitbestimmten.

Wöchentliche Kohletransporte, Steinkohle, Brikett und Rohbraunkohle mussten entladen und abtransportiert werden. Vor dem Heizhaus des Milchzuckerwerks und zwischen der Gehweggrenze war oftmals kein Platz mehr für die Fußgänger, wenn die Kohle angeliefert wurde.

Der hergestellte Milchzucker ging ebenfalls über den Bahnhof ab in die weite Welt. Da das Milchzuckerwerk ein riesiges Transportaufkommen besaß, gab es seinerzeit schon einmal den Gedanken, zum Bau eines eigenen Gleisanschlusses für den Betrieb. Diese durchaus ökonomische Lösung wurde aber zu Lebzeiten der DDR nicht mehr verwirklicht.

Als wir viele Jahre später wieder hier oben auf dem Berg lagen und der Rostocker Überseehafen bereits in Betrieb war, waren es die langen Güterzüge mit den russischen Taigaloks, die bei uns Respekt und Bewunderung hervorriefen. Die Züge waren dermaßen lang und schwer, dass sie den Anstieg zum Kronskamper Berg nur im Schritttempo schafften bzw. durch eine zweite Lok angeschoben werden mussten.

Für „Leben“ auf dem Bahnhof sorgte auch eine Kleinlok, „Molli“ genannt, die Rangierfahrten auf dem Bahnhof durchführte und auch zu den Bahnhofsteilen in Kronskamp und Subzin – Liessow unterwegs war, wenn dort Rangierarbeiten bzw. etwas hinzufahren oder abzuholen war. Mollifahrer waren die Eisenbahner Karl Holzmann, Friedrich Kossow und Karl Amend. Dem Eisenbahner und Mollifahrer Karl Holzmann, Vater von „Körling“ Holzmann, ein Mitschüler von mir, verdanken wir eine „Mitfahrt“ zur Kronskamper Weiche. Körling, Dieter Bade, Horst Siggelkow und ich hatten dieses unvergessliche Vergnügen. „Hugo“, der Bahnhofsvorsteher, hatte uns mitfahren lassen.

Weiterhin gab es noch einen bahnamtlichen Rollfuhrbetrieb, den Hans Ludwig Deicke betrieb. Dafür hatte er große schwere Rollwagen mit Kaltblutpferden davor. Treue Kutscher bei diesem Spediteur waren der alte Strüwing und Wilhelm Brei.

„Unter dem Rollwagen hing ein großes Firmenschild des Spediteurs Deicke“. Noch bis in die Anfänge des 21. Jahrhunderts betrieb der Sohn „Ludden“ Deicke die Spedition. Man sagte: „Die Pferde fanden auch ohne Kutscher zum Bahnhof. Sie blieben an der Rampe des Güterbodens stehen
und warteten auf den „Chef““.

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„Der gelbe Postwagen als Einspänner mit Kutscher Karl Steen und einem Postbeamten waren morgens und abends vom Bahnhof nicht wegzudenken, man konnte die Uhr danach stellen. Der gesamte Brief-, Paket- und Päckchenverkehr ging mit der Bahn. Dazu hatte die Post in bestimmten Zügen ihre eigenen Postwagen laufen, die mit einem Bahnpostschaffner besetzt waren. Von Seiten der Post waren es Wilhelm Schwass, sein Sohn Werner und Heinz Stemwedel, die diese Aufgaben zeitweilig bewältigten. In späterer Zeit übernahm auch die Spedition Deicke diese Aufgaben“.

Ab 1955 gehörte ich dann nicht mehr zu den „Beobachtern“ vom Bahnhofsberg, sondern zu den Wochenendpendlern zwischen Rostock und Laage. Ab 1961 bis 1966 wurde ich dann zum Tagespendler zunächst zwischen Laage und der Warnowwerft – Warnemünde und später zwischen Laage und Rostock – Marienehe. 

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Ab 1966 endete dann auch mein direkter Kontakt mit dem Laager Bahnhof. Ich war inzwischen nach Rostock verzogen. Ab diesem Zeitpunkt etwa beginnt die „große Zeit“ von Hugo Hehl auf dem Bahnhof in Laage.

Ab 1965 wurde er zum Bahnhofsvorsteher ernannt. Er übte diese Funktion 25 Jahre lang aus und wurde in dieser Zeit zur Symbolfigur der „Eisenbahn“ in Laage. Als Bahnhofsvorsteher war er natürlich in alle Projekte dieser Zeit, die den Bahnhof bzw. die Gleisstrecke betrafen, integriert.  Das von der „Picke“ auf an erworbenes Wissen und die langjährig erworbenen Erfahrungen machten ihn zum Experten der Deutschen Reichsbahn und später der Bundesbahn in dieser Region. Während seiner Amtszeit erfolgte auch die Elektrifizierung der Strecke Rostock-Berlin und auch noch die ersten eingesetzten und über Laage fahrenden ICE-Züge konnte er, zwar nur durchfahrend, begrüßen. Aber dennoch empfand er diese Entwicklung als zeitgemäß. Im Jahre 1986 war es Hugo Hehl vergönnt, die 100- Jahrfeier des Laager Bahnhofs mitgestaltend zu organisieren. Es war einer seiner Höhepunkte während der beruflichen Tätigkeit.

Diese zunächst noch positiv erscheinende Entwicklung kehrte sich dann aber langsam um. Die bis dato höchste Entwicklung im Güterverkehr verringerte sich immer mehr, der Güterverkehr wurde mehr und mehr auf die Straße verlegt. Der Laager Bahnhof, einmal jahrzehntelang ein wichtiger Umschlagplatz für landwirtschaftliche Produkte, wurde nach und nach zum Haltepunkt für Nahverkehrszüge degradiert.

Ausdruck dieser Entwicklung ist dann eine der letzten Handlungen von Hugo Hehl, er war bereits im Ruhestand, als er im Juli 2007 als Privatmann den Antrag und die Begründung zur Aufnahme des Empfangsgebäudes des Laager Bahnhofs als Kulturdenkmal stellte. Während seiner noch verbliebenen Lebenszeit, er starb am 17.02.2008 im Alter von 80 Jahren, wurde es ihm nicht mehr vergönnt, einen positiven Bescheid zu erhalten.

Fast weitere 10 Jahre vergingen, ohne dass sich irgendetwas tat. Das ehemalige Empfangsgebäude lag im „Dornröschenschlaf“. Seit einigen Jahren aber ist Bewegung in diese Geschichte gekommen und es wird renoviert und restauriert. Aus Fördertöpfen der EU und von privaten Geldgebern gesichert, entsteht ein erinnerungswürdiges Bahnhofsgebäude mit der Bezeichnung „Kulturbahnhof Laage“.

Nachbetrachtungen:

Als Autor dieses Beitrages, den ich nicht als Historiker geschrieben habe, sondern als zeitweiliger Beobachter des Geschehens auf dem Laager Bahnhof und als zeitweiliger Nutzer des Zuges zwischen Rostock und Laage. Ich habe weitere Zeitzeugen und deren Erinnerungen zitiert, um ein Zeitfenster von über 100 Jahren zu erfassen. Es bleiben Erinnerungen mit sicherlich einigen chronologischen Schwächen in der Darstellung, aber diese Schwachstellen seien mir als gebürtiger Laager bitte verziehen.

Quellen: Eigene Erinnerungen und aus Schriften von Hugo Hehl

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