1936 Handstand auf dem „Schemisch – Schornstein“
Auf der Suche nach besonderen Begebenheiten stieß ich auf eine Erzählung, die sich in meiner Erinnerung fest verankert hat.
Um ein besseres Verständnis für diese Geschichte zu erhalten, muss ich meine Beziehung zum Milchzuckerwerk Laage, im örtlichen Sprachgebrauch auch „Schemisch“ genannt, beschreiben. Schemisch leitet sich ab von der Firmenbezeichnung „Chemische Fabrik der Kalichemie AG“.
Nach dem Ende des II. Weltkrieges und überstandener Flucht aus Insterburg/Ostpreußen landeten meine Eltern, zwei Schwestern und ich in ebendieser Fabrik. Mein Vater erhielt den Befehl von der SMAD (Sowjetischen Militäradministration) das stillgelegte Werk in Betrieb zu setzen und die Produktion von Milchzucker aufzunehmen. Die Gesamtheit der hergestellten pharmazeutischen Lactose ging im Rahmen der deutschen Reparationsleistungen in die Sowjetunion.
Einige Laager Bürger fanden Arbeit in diesem Werk. Zu ihnen gehörten solch stadtbekannte Persönlichkeiten wie Heinrich Schwießelmann, Richard Ahrens, Herbert Schwarz, Paul Jörn, Herbert Philibert u.v.m. Im Kreise dieser Kollegen wurden Gespräche über die Vergangenheit und den Krieg mit seinen schrecklichen Folgen geführt. Im Umfeld dieser gestandenen Männer wuchs ich, Klaus Fischer, Jahrgang 1942, auf. Dort hörte ich die, für mich unglaubliche Schilderung der Geschichte des „Stepke“ Pries.
Nun, 80 Jahre später, entschloss ich mich, diese Episode aufzuschreiben. Mein alter Freund und Weggefährte Klaus Bibow stellte die Verbindung zu Frau Hanna Suhr, Groß Lantow, her. Gemeinsam führten wir ein sehr ausführliches und informatives Gespräch über ihren Vater Werner Paul Friedrich Pries- genannt „Stepke“.
Er wurde am 1. April 1909 in Laage als Sohn der Ackerbürger Gustav und Dorothea Pries geboren. Zur Familie gehörten noch eine Schwester und drei Brüder. Seine Kindheit verbrachte er in Laage, beendete auch hier die Volksschule und arbeitete dann in der Landwirtschaft Stepke Pries wird als sportbegeisterter, draufgängerischer Bursche beschrieben, der seiner Familie doch einige Sorgen bereitete, da er furchtlos bis leichtsinnig jedes Abenteuer suchte, ohne die Folgen und Risiken genauer einzuschätzen.
An einem lauen sonnigen Frühsommertag des Jahres 1937 trafen sich Stepke Pries und einige Freunde, darunter auch Fußballer des F.C. Corso Laage, denn er war damals Stammtorwart in der ersten Männermannschaft des Laager Fußballvereins, zum Bier. Im Laufe dieser Biersitzung kam es zu einer sehr ungewöhnlichen Wette. Stepke Pries bot an, für 1 Kiste Bier auf dem Schemisch Schornstein einen Handstand vorzuführen. Die Kumpel schlugen ein. Das genaue Datum und die Tageszeit des Vollzugs der Wette kann ich nicht benennen.
Stepke Pries, dieser furchtlose, leichtsinnige Sportsmann, bestieg den 48 Meter hohen gemauerten, am Kopf mit einem Reparaturgerüst versehenen Schornstein, und vollzog diesen besagten Handstand. Um das Risiko eines solchen Versuchs zu erkennen, muss man wissen, dass der Aufstieg sehr kraftraubend und dass Bauwerke dieser Größenordnung Schwankungen unterlegen sind. Auch der Wind kann eine bedenkliche Rolle spielen. Diese artistische Leistung machten ihn in Laage und Umgebung bekannt und er wurde zum Stadtgespräch. Unter dem Jubel der Zuschauer stieg er wieder hinab. Die Wette hatte er gewonnen.
Leider konnte ich keine Augenzeugen dieser einmaligen Aktion finden. Auf meine Bitte hin, hat mein Nachbar Bernd Schultze, Laage Denkmalsweg, ein talentierter Hobbymaler, diese Szene in einer Bleistiftzeichnung verewigt.
Das weitere Leben des Stepke Pries war geprägt von Arbeit, Wehrmacht, Krieg, Lazarett – Aufenthalt in Rerik, Heimkehr, Familie und wieder Arbeit. Bestimmt werden sich einige Laager Bürger daran erinnern, dass er als Torhüter der Fußballmannschaften in Laage, der Gemeinden Dolgen, Lantow und Striesdorf eine zuverlässige Stütze war.
Werner Paul Friedrich Pries wurde nur 54 Jahre alt. Er starb am 1. September 1963 und wurde in Laage beigesetzt.
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