Laager Erinnerungen

Eine Zeitreise durch Laage

“De Kauh inne Kök” oder?

Die Kuh in der Küche

Man kann es sich kaum noch vorstellen aber bis in die 1960er Jahre bestimmten die Kühe der Laager Ackerbürger in der Woche nach dem ersten Sonntag im Mai morgens und abends das Straßenbild, um sich in der Gartenstraße für den Weidegang zu sammeln bzw. sich abends an diesem Ort wieder aufzulösen. Der Austrieb der Kühe war immer mit einer bestimmten Zeremonie verbunden. Aus Peter Zeeses Entwurf einer Laager Chronik entnahm ich, dass morgens um 6,00 Uhr vom Markt das Signal eines Bläsers als Aufforderung zum Austrieb der Kühe ertönte. Man hatte sich sogar einen Reim auf die Melodie gemacht, der wie folgt lautete: “Do-ra, Do-ra laß die Kühe raus, sonst treib ich sie weg vom Haus”. Diese Zeremonie hatte sich aber wohl nur bis zum Anfang des 20. Jh. erhalten, denn alte Laager Bürger, die ich dazu befragte, konnten sich nicht erinnern.

Nach der ersten Übernahme der Kühe durch den Hirten Buk und später Jörn in der Gartenstraße trafen sich die meisten Ackerbürger im “Reinholdts Gasthaus” bei Behnkes in der Marktstraße, wo es dann hoch hergegangen sein soll.

Hier eine kleine Auswahl der Ackerbürger, die sich zu den sogenannten “Trinkerfestspielen” bei Behnkes einfanden: Hermann Pries, genannt Schäper Pries, Wilhelm Elsner, Karl Schwanbeck, Karl Schröder, Wilhelm Schröder und Hermann Auge.

Erst mit der Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Typ 1 Mitte der 60er Jahre endete dieses Prozedere. Das Phänomen des Kuhaustriebs bestand aus meiner Sicht darin, dass die Kühe der Ackerbürger in dieser Woche ohne Begleitung, also völlig allein die Strecke vom Stall bis zur Gartenstraße und zurück bewältigten. Da frage ich mich heute, wie konnte man nur auf den abwertenden und auch beleidigenden Ausspruch “du doofe Kuh” kommen…?

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Von der Gartenstraße wurden die Kühe auf die Weide hinterm Judenberg (Scheibenberg) getrieben.  Ab der zweiten Woche blieben sie dann den ganzen Sommer bis Ende September auf der Weide. Der Hirte blieb tagsüber bei ihnen. Zur Nacht wurden sie in die Nachtkoppel getrieben. Die Börnung war ihre Tränke und gemolken wurden sie abends von 17:30 Uhr bis 18:30 Uhr auf der sogenannten Kuhregel vor dem Judenberg, vor allem an Wochenenden von interessierten Zuschauern begleitet.

Auf dem Gang der Kühe durch die Straßen gab es hin und wieder doch auch Zwischenfälle. Besonders am ersten Tag des Marsches zur Gartenstraße verirrte sich schon einmal eine Kuh, die dann erst wieder eingefangen werden musste.

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Oder, obwohl zu der damaligen Zeit nur wenige motorisierte Fahrzeuge die Laager Straßen befuhren, kam es schon vor, dass ein Auto oder Motorrad die Kühe auf den Bürgersteig scheuchten und diese oder jene Kuh vor lauter Aufregung und zum Leidwesen der Laager Bürger einen saftigen Fladen auf diesem zurückließ. An unserem Haus in der Breesener Straße 21 mussten die Kühe des Ackerbürgers Hermann Auge vorbeilaufen, da sich sein Hof drei Häuser weiter in der Nr. 18 befand. Das klappte in der Regel immer reibungslos, nur ein einziges Mal passierte einer Kuh auf dem Nachhauseweg doch ein Missgeschick. Unser Vater hatte unmittelbar vor dem Passieren der Kühe sein Fahrrad durch den Hausflur auf den Hof geschoben, um es in einem

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Schuppen abzustellen. Er hatte Haus- und Hoftür offengelassen, und nun passierte das Malheur. Die offene Haustür bewirkte bei einer der Kühe den Irrtum, sie wäre schon zu Hause. Sie marschierte schnurstracks auf den Flur und bog vor der Hoftür nach rechts ab durch die ebenfalls offene Küchentür. Das geschah ohne, dass es jemand bemerkt hatte. Unsere Mutter, die zur gleichen Zeit Kunden im Geschäft bedient hatte, begab sich danach in die Küche und stand, oh Schreck, vor einem Kuhhintern. Zum Glück waren meine Eltern besonnene Erdenbürger und unsere Mutter verfiel nicht in panische Reaktionen, die mit Sicherheit Schlimmes bewirkt hätten. Sie rief unseren Vater und dem gelang es, die Kuh rückwärts aus der Küche und mit dem Hinterteil auf das Podest der Hoftreppe zu bugsieren, so dass sie ohne weitere Umstände wieder auf die Straße gelangen konnte, um sich den richtigen Toreingang zu suchen. Ein großes Aufatmen und Gelächter begleitete das Ende dieser mehr als komischen Situation.

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Im Nachherein muss man feststellen, dass die gegebenen räumlichen Bedingungen in unserem Haus zum Glück für das Herausbugsieren der Kuh von Vorteil waren. Im Gegensatz zu der heutigen Raumstruktur im Paterrebereich, nach Rekonstruktion des Hauses durch die Firma Andreas Pieper im Jahr 2004, hatte der Hausflur eine Breite von etwa zwei Meter und die Küche, die es heute an dieser Stelle nicht mehr gibt, eine Größe von ca. 15 Quadratmeter. Die folgende Skizze des Erdgeschosses soll einen Eindruck über die räumlichen Bedingungen vermitteln.

Der Austrieb der Kühe vollzog sich dann jeweils Anfang Oktober in gleicher Art und Weise über acht bis zehn Tage.

Ja, so war es noch in den 50er und Anfang der 60er Jahre. Zu der Zeit waren im Gegensatz zu heute noch mehr Menschen als Autos auf den Straßen. Die vielen Geschäfte und Handwerker führten zu einem regen Personenverkehr in der Stadt. Auch die Pferdefuhrwerke der Laager Ackerbürger und die vielen Milchwagen der Landwirte aus den umliegenden Dörfern bestimmten das Straßenbild. Die zuletzt genannten Landwirte lieferten in der Regel in abwechselnder Reihenfolge die Milch des ganzen Dorfes zur Molkerei. Typisch war auch, dass sie dann Lebensmitteleinkäufe und sonstige Besorgungen für die anderen Bewohner ihres Dorfes erledigten. Ich erinnere mich noch an einen Landwirt aus Jahmen, der nach Erledigung aller Aufträge regelmäßig das Gasthaus “Zum deutschen Haus” von Max Possehl in der Breesener- Ecke Wallstraße aufsuchte und immer zu tief ins Glas geguckt hatte. Er war dann nicht mehr in der Lage, auf den Bock seines Fuhrwerkes zu steigen und die Pferde an der Leine zu führen. Also legten ihn oft einige kräftige Gäste der Gaststätte auf die Ladefläche. Er war so ein sangesfreudiger Geselle, dass er dabei auch ununterbrochen seine Lieder trällerte. Danach bekamen die Pferde einen Klaps auf der Hintern und sie gingen dann zielgerichtet nach Jahmen. Also nicht nur die Kühe fanden früher allein ihren Weg, sondern auch die Pferde. Das war für uns Kinder natürlich immer ein interessantes Ereignis. Wir liefen oft auch eine Weile hinter dem Fuhrwerk her, denn die Gesangseinlagen des betrunkenen Landwirtes nahmen kein Ende. Pikant dabei war allerdings, dass sein Liedgut etliche Vorkriegsstücke beinhaltete, die absolut nicht in die politische Landschaft der DDR passten. Ich glaube, dass ihm das aber nicht ernsthaft zum Verhängnis wurde.

Ja, so war es damals …

Quellen:

  • “775 Jahre Laage/Mecklenburg Chronik” 1991 | S. 23 und 24 | Herausgeber: Stadtverwaltung Laage
  • Gespräche mit Käthe Harms, geb. Schröder, Klaus Bibow und Fritz Abs.
  • Eigene Erinnerungen
  • Fotos 1 und 2 aus “Laage/Mecklenburg Bilder aus alten Zeiten” S. 61 | Herausgeber: Geiger-Verlag, Horb am Neckar.
  • Fotos 3, 4 und 5 aus eigenem Bestand.

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