Laager Erinnerungen

Eine Zeitreise durch Laage

Straßen der Stadt

Straßen im Wandel der Zeit

Denkt man an eine Stadt, so denkt man auch spontan an ihre Straßen, an ihre Umgebung und an die Menschen dieser Stadt. Alles das bewirkt Bewunderung und Interesse oder Abneigung und Desinteresse. Diese Polarisierung verstärkt sich noch umso mehr, wenn der Betrachter oder der sich Erinnernde in dieser Stadt geboren und aufgewachsen ist.

Unter diesem Gesichtspunkt erinnere ich mich heute, im Alter von 80 Jahren, an einige Straßen meiner Geburts- und Heimatstadt. Es sind diese:

  • die St.-Jürgen-Straße, in der ich am 24.12.1935 geboren wurde und die wohl heute als eine der schönsten Straßen dieser Stadt anzusehen ist,
  • die Bahnhofstraße, in der ich zwar selbst nicht gewohnt habe, in der aber viele meiner Spielgefährten wohnten und wo wir viele Spiel- und Tobeplätze hatten. Sie zählt heute mit zu den längsten Straßen der Stadt; die Straße der Behelfsheime, in denen ich einige Zeit mit meinen Eltern wohnte, heute ein Bestandteil der Feldstraße. Sie bestand zur damaligen Zeit nur aus einer Häuserreihe, die sich durch einen einheitlichen Baustil sowie durch Einfachheit und Schlichtheit auszeichnete;
  • die Rosmarienstraße, in die ich mit meinen Eltern 1947 ziehen musste und die mit zu den ältesten Straßen der Stadt gehört.

Alle vier Straßen haben ihre eigene Geschichte und sind zu verschiedenen Zeiten entstanden. Die älteste der vier Straßen ist die Rosmarienstraße. Sie liegt in der Nähe der Kirche und somit im Zentrum der Stadt, innerhalb eines vor vielen Jahren noch vorhandenen Wollgrabens.

Alle anderen drei Straßen lägen außerhalb des Wollgrabens, wenn er heute noch vorhanden wäre. Der Bau und der Verlauf der Bahnhof- und der St.-Jürgen-Straße ergaben sich aus der Standortbestimmung des Bahnhofs im Jahre 1883. Erst der Bau des Bahnhofs bewirkte den Bau der Bahnhofstraße und einige Jahre später auch den Bau der St.-Jürgen-Straße.

Etwas aus dem Rahmen fallen die Behelfsheime, heute zur Feldstraße gehörend, zwar nicht so sehr wegen der Standortbestimmung, sondern da ihre Entstehungsgeschichte von normalen Begründungen und Notwendigkeiten abweicht. Wenn ich mich heute erinnere, dann gehörte das Bauland, auf dem die Behelfsheime damals gebaut wurden, dem Sägewerksbesitzer Max Bremer. Er ließ die ersten 10 Häuser am Rande seines großen Holzlagerplatzes bauen und vermietete sie an seine Belegschaft. Nach 1945 konnte man diese Häuser auch käuflich erwerben. Soweit einige Vorbemerkungen.

Nachfolgend nun meine Erinnerungen an diese Straßen.

Der Name „St.-Jürgen“ taucht in der Laager Stadtchronik bereits im 14. Jahrhundert auf, zwar nicht als Straßenname, aber als Bezeichnung für einen Hof, der außerhalb des Wollgrabens der Stadt lag. In einem „Grundriss der Stadt Lage aus dem Jahre 1759“, hier noch mit einem „a“ geschrieben, wird diese besagte Stelle als St.-Jürgen-Hof bezeichnet. Im Laager Stadtanzeiger Nr.7 /2005 schreibt Christian Schwießelmann folgendes:

„In der Stadt Laage existieren seit langem verschiedene Stiftungen, zum einen zum Wohle der Kirche und zum anderen zur Versorgung der Armen. Auch ein Stift mit Namen St.-Jürgen befand sich damals in Laage. Über Ursprung und Gründung dieses Stiftes ist nichts bekannt.“

Weiter heißt es:

1785 waren Stiftsgebäude und der dazugehörige Hof ganz verfallen und die Stadt übernahm den dazugehörigen Acker.“

Als Fazit schrieb er dazu weiter:

„Wir können diesen im Jahre 1785 eingegangenen St.-Jürgens-Stift sozusagen als Vorläufer des späteren Marienstiftes betrachten.“

Diese Aussage könnte man um folgende These ergänzen:

„Somit stand der Name St.-Jürgens-Stift sicherlich auch viele Jahre später Pate für die Namensgebung der heutigen St.-Jürgen-Straße.“

Zum Zeitpunkt meiner Geburt im Jahre 1935 war diese Straße gerade erst 14 Jahre alt und noch längst nicht als fertige Straße ausgebaut. Sie war noch nicht gepflastert und die Gehwege und alle abzweigenden Straßen und Wege waren als Sandwege ausgelegt. Auch die Bebauung war noch nicht abgeschlossen. Hugo Hehl schreibt in seinen Erinnerungen zur Bahnhofstraße über die St.- Jürgen- Straße folgendes:

„Auf halbem Wege, aus der Stadt hin, wo die St.-Jürgen Straße abgeht auf dem Grundstück Nr. 9 – Haus Bergesteht – eine alte knorrige Eiche, ihre Krone langte weit über die Bahnhofstraße und warf ihren Schatten auf diese Straße. Wenn dieser Baum erzählen könnte, da er ja noch die St.-Jürgen Straße als einen Landweg kannte und auch den Ärger mit der Kurve an dieser Stelle immer vor Augen hatte, wenn die Langholzwagen von der Sägerei Bremer nicht um die Ecke kommen konnten.“

So dauerte es doch noch einige Jahre, bis aus dem Landweg eine feste Straße wurde. Laut Stadtchronik hatte sie im Jahre 2011 ihren 90. Geburtstag. Im Jahre 1921 war es, als die Laager Stadtväter folgenden Beschluss fassten:

„Die Stadt Laage beabsichtigt den Bau der neuen Straße zwischen der Johann-Albrecht-Straße und Bahnhofstraße, jetzt St.-Jürgen-Straße genannt, in diesem Winter wiederaufzunehmen und durch Erwerbslose ausführen zu lassen.“

Das war, aus damaliger Sicht betrachtet, ein weiser Beschluss, schaffte er doch Arbeit für viele Arbeitslose in der Stadt und Umgebung. Es war auch verkehrstechnisch gesehen eine gut durchdachte Entscheidung, denn für den immer mehr zunehmenden Güterverkehr über die Bahn, insbesondere auch für alle aus Richtung Breesen kommenden Transporte, war eine derartige Querverbindung schon von großem Nutzen. Hinzu kam noch, dass alle Laager Ackerbürger ihre Scheunen auf der entgegengesetzten Seite der Stadt hatten und somit alle Transporte vom und zum Bahnhof irgendwie durch die Innenstadt hätten gehen müssen.

Die im Jahre 1921 begonnenen Arbeiten endeten noch nicht mit einer Bepflasterung der Straße. Es vergingen wiederum einige Jahre, bis im Haushalt der Stadt ein diesbezüglicher Finanzposten auftauchte. Im Laager Stadtanzeiger Nr.3/2000 schreibt Christian Schwießelmann in einem Artikel „Unterm Hakenkreuz und Sowjetstern – zum politischen Leben in der Stadt Laage zwischen 1933 und 1952“ folgendes: (verkürzte Wiedergabe):

„Der größte Posten bei der Neuverschuldung war das Darlehen für den Neubau der St.-Jürgen-Straße. Das Darlehen hatte eine Laufzeit von 1938 bis 1965 in Höhe von 26000 RM.“ Diese Summe kalkulierte der Dipl.-Ing. Herrmann Gätjen, Inhaber des gleichnamigen Laager Baugeschäftes, mit Sitz in der St.-Jürgen-Straße. Der Bürgermeister der Stadt Laage begründete das Vorhaben wie folgt:
„Zwischen der Teterower Chaussee und der Bahnhofstraße existiert ein ungeplasteter Weg, der zu beiden Seiten mit Häusern bebaut ist. Dieser Weg hat sich zu einer wichtigen Verkehrsstraße zum Bahnhof und zur Molkerei entwickelt. Der ist namentlich bei der jetzigen Jahreszeit so verheerend, dass dies nicht mehr länger verantwortet werden konnte.“

Durch Verlegung eines Kopfsteinpflasters wurde die Straße somit erstmalig befestigt. Auf beiden Seiten der Straße wurden Birkenbäume angepflanzt, die einige Jahrzehnte lang guten Sonnenschutz lieferten. Aber Staub und Regenpfützen auf den Gehwegen und auf den abzweigenden Straßen und Wegen gehörten noch einige Jahre zum Bild der Straße. So auch der Ückerweg, ein damals von der St.-Jürgen-Straße abgehender Landweg, der zu einer Kleingartenanlage führte. Dieser Weg war für uns Kinder außerordentlich wichtig, denn er führte an der Kleingartenanlage vorbei zu unseren schönsten Spielplätzen der Umgebung. Über diesen unbefestigten Landweg gelangten wir, vorbei an der Hühnerfarm von Michels, zum großen Kiesabbauberg, zum Bahnhofsberg, zum Laager Stadtwald und zum Sportplatz.

Im Bereich der Kleingartenanlage führten drei Wege in diese Anlage, ein Weg endete auf dem Hausberg des Grundstücks der Familie Siggelkow und ein kleinerer Weg führte zum Hintereingang der Korfschen Villa. So erreichten wir damals gefahrlos unsere Spielplätze im Umfeld der St.-Jürgen-Straße und der Bahnhofstraße.

Heute führt der Ückerweg als ausgebaute Ückerstraße über die Rudolf-Harbig-Straße in ein Neubaugebiet, das in den l960er- Jahren gebaut wurde. Das Neubaugebiet und der Bau der Umgehungsstraße waren die letzten größeren Veränderungen im Umfeld der St.-Jürgen Straße und der Bahnhofstraße.

Die letzte große Erneuerung der St.-Jürgen Straße erfolgte 2009. Anstelle des bisherigen Kopfsteinpflasters fährt man nunmehr über eine asphaltierte Straße.

Wenn ich die Straße heute betrachte und sie mit meiner Zeit (1935 bis 1947) vergleiche, dann neige ich dazu, sie mit dem Prädikat schön und wunderbar zu versehen. Ich bin heute sehr stolz darauf, hier vor nunmehr fast 80 Jahren geboren worden zu sein und in dieser Straße ein paar Jahre gelebt zu haben.


St.-Jürgen-Straße 20

Die Gesamtbebauung der St.-Jürgen Straße war zu meiner Zeit noch nicht abgeschlossen. Eine große Freifläche befand sich damals noch neben meinem Geburtshaus Nr. 20 Richtung Bahnhofstraße. Ein Teil der Fläche war mit Gras bewachsen und der andere Teil war eine Sandkuhle, die wir zum Buddeln benutzten. Es war für uns Kinder ein idealer Spiel- und Tobeplatz. Andere freie Flächen wurden als Gartenland benutzt und erst in späteren Jahren bebaut. Auch Gewerbetreibende siedelten sich ebenfalls in der Straße an. Zu meiner Zeit waren dort ansässig der Baubetrieb Paul Meinke, der Schlossereibetrieb Max Pfanner, die Firma Gätjen (Ingenieur- und Baubetrieb) und die Malerfirma Heinz Schülke.


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Heute, im Jahre 2016, ist davon kein Betrieb mehr vorhanden und die Gesamtbebauung gilt schon seit einigen Jahren als so gut wie abgeschlossen. Dabei wechseln sich Häuser der verschiedensten Art ab. Einfamilienhäuser, normale Stadthäuser und auch Häuser mit villenartigen Charakter bestimmen das heutige Bild der Straße.

Auch für die Bahnhofstraße ist mein Interesse sehr groß, obwohl ich in dieser Straße nicht gewohnt habe. Die meisten meiner damaligen Spielgefährten wohnten jedoch in dieser Straße und so blieb es nicht aus, zumal sich auch hier viele Spielplätze befanden, dass ich mich auch hier wie zu Hause fühlte.


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Der Bau der Bahnhofstraße wurde notwendig, nachdem die hiesige Obrigkeit auf Empfehlung des Herrn Ingenieur Fresec von der Societe Beige entschieden hatte, den Bahnhof an der Lehmkuhle bei der Henningsmühle zu bauen. Mit dieser Entscheidung, veröffentlicht im Laager Stadtanzeiger Nr. 85 aus dem Jahre 1883, konnte dann der endgültige Verlauf der Bahnstrecke von Warnemünde über Rostock-Laage-Plaaz-Lalendorf-Waren bis Neustrelitz festgelegt werden und mit dem Bau des Laager Bahnhofs und der Bahnhofstraße begonnen werden. Bereits drei Jahre später konnte die Eisenbahnlinie, der Bahnhof Laage und die Bahnhofstraße in Betrieb genommen werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die gepflasterte Bahnhofstraße eine Länge von 690 Metern und eine Breite von 4 Metern.

Im Laager Wochenblatt bedankte sich der Magistrat der Stadt für die von Fuhrleuten der Stadt geleisteten Spanndienste. Hugo Hehl schreibt in seinen Erinnerungen folgendes dazu:

„Wie die Bahn 1884/1885 gebaut wurde und am 1.7.1886 in Betrieb genommen wurde, standen an beiden Seiten der Straße noch keine Häuser. Dafür waren zur Einweihung der Straße auf beiden Seiten schon Linden, Eschen und Kastanienbäume gepflanzt.“

Weiter heißt es:

„Mitte bis Ende der 1920er Jahre hatten sich die Bäume zu einer prächtigen Allee entwickelt. Sie boten im Hochsommer guten Sonnenschutz auf dem langen Weg zum Bahnhof. Diese Baumanpflanzungen, einschließlich der Rotdorn-Baumgruppe auf der Seite am alten Friedhof entlang und viele andere Straßen mit Baumbepflanzung, führten bei Hugo Hehl zu der Bezeichnung ‚Laage eine Lindenstadt‘.“

Diese anfängliche Baumpracht war jedoch nicht von langer Dauer, besonders in der Bahnhofstraße mussten im Laufe der Jahre immer wieder die Bäume von tiefhängendem Geäst befreit werden und die Gehwegplatten des Bürgersteigs begradigt werden, weil die Baumwurzeln die Platten immer wieder anhoben. Als die Kali-Chemie-AG ihr neues Heizhaus baute, mussten auch dort die alten Linden weichen. Die letzten großen Linden standen noch vor der Molkerei bis in die 1980er Jahre, bis sie auch dort abgeholzt wurden.

Es dauerte dann noch einige Jahre, bis die Straße beidseitig bebaut war. Insgesamt musste auf dem Gelände links und rechts der Straße, wo früher Wiesen und Kälberkoppeln waren, sehr viel Erde aufgeschüttet werden, bevor mit dem Hausbau begonnen werden konnte. Einige Eckpunkte der Bebauung waren:

– 1903 Bau der Molkerei,
– 1907 Bau der Korffschen Villa,
– 1911 Bau der Badeanstalt,
– 1912 Landbaubüro Korff,
– 1913 Möbelfabrik Bernd und Awe
– 1925 Bau des Ziegeleiturms am Bahnhof


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Die letzte Lücke wurde zu DDR-Zeiten der Bebauung der alten Schutthalde auf der rechten Seite der Straße in Richtung Bahnhof, schräg gegenüber dem Turmgebäude der Familie Siggelkow geschlossen.

Mit der Bebauung der Schutthalde, bebaut mit drei kleinen Einfamilienhäusern, war die ganze Straße dann beidseitig mit Häusern belegt. Danach begann dann eine längere Zeit ohne größere Veränderungen. Erst mit dem Bau der Umgehungsstraße veränderte sich das Straßenbild der Bahnhofstraße erneut. Die Straße wurde nunmehr durch die Umgehungsstraße durchtrennt und verkehrstechnisch mit einer Ampelkreuzung gesichert.

Die Bahnhofstraße und der dazugehörige Bahnhof haben seit ihrem Bestehen Geschichte geschrieben. Diesen Tatbestand hat schon Hugo Hehl, ein gebürtiger Laager und Chronist der Stadt in seiner unveröffentlichten Schrift „Eine Straße schreibt Geschichte“ deutlich gemacht. Die Einmaligkeit dieser Straßenbeschreibung, über einen Zeitraum von fast 100 Jahren, zeugt von großer Verbundenheit zur Bahnhofstraße und zum Bahnhof. Hugo Hehl wurde 1927 in der Bahnhofstraße geboren. Viele Jahre seines Lebens wohnte er hier und war in seinen langen Berufsjahren auf dem Laager Bahnhof tätig. Er lebte für die Eisenbahn, er lebte und arbeitete für die Deutsche Reichsbahn und nach der Wende für die Deutsche Bundesbahn, immer mit dem Ziel, den Bahnhof von Laage als Zeitzeugen in seiner Gesamtheit zu erhalten. Doch der nach der Wende im Osten eingetretene Strukturwandel, machten den Bahnhof, wie man so schön sagt, platt. Er ist heute zum Haltepunkt von einigen wenigen Personenzügen geworden und hat seine Bedeutung als Umschlagsplatz, besonders für Güter der Landwirtschaft, völlig verloren. Die letzte Hoffnung, einen ICE modernster Bauart durch den Bahnhof fahren zu sehen, nachdem die Strecke Rostock/Berlin in den letzten Jahren aufwendig modernisiert wurde, wurde durch den Fahrplanwechsel 2013 / 2014 erneut getrübt, denn nur ein ICE- Zugpaar am Tag befährt diese Strecke. Aber das war auch nicht von langer Dauer, heute, wir schreiben inzwischen das Jahr 2016, fahren als Fernzüge nur noch Regionalzüge über diesen Bahnhof. Somit ist auch dieser einmal von Hugo Hehl gehegte Traum, nicht in Erfüllung gegangen.


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Meine besonderen Beziehungen zur Bahnhofstraße und zum Bahnhof, ich deutete das bereits an, ergaben sich aus dem täglichen Zusammensein mit meinen Spielgefährten, die in dieser Straße wohnten und in der gemeinsamen Nutzung der in dieser Straße vorhandenen Spielplätze. Viel genutzt wurde von uns der Spielplatz rund um das bekannte und heute nicht mehr vorhandene Turmgebäude der Familie Siggelkow. Zugang zu diesem Ort hatte ich durch meine Freunde Horst und Fredi Siggelkow, die ja hier ihr zu Hause hatten. Links neben dem Gebäude war ein kleiner Ententeich mit einer kleinen strohdachbedeckten Entenhütte, in der geradeso vier bis fünf Jungs Platz hatten. Hierhin verzogen wir uns gern, wenn wir heimlich unsere selbstgedrehten Zigarren aus getrockneten Kastanienblättern rauchten. Gott sei Dank verzog sich der blaue Dunst sehr schnell durch das durchlässige Strohdach.

Hinter dem Turmgebäude befand sich ein 15 bis 20 Meter hoher Hausberg, der über eine Holztreppe zu erreichen war und uns sehr schnell die Möglichkeit verschaffte, über diesen Berg hinweg den Ückerweg zu erreichen und damit klammheimlich zum Bahnhofsberg, zum Kiesabbauberg, zum Stadtwald und zum Sportplatz zu gelangen.

Vor dem Haus, auf der anderen Seite der Straße, führte ein kurzer Weg zu der im Jahre 1911 gebauten Badeanstalt. In den Sommermonaten verbrachten wir hier so manchen Nachmittag zum Baden. Diese Möglichkeit konnten wir aber nur bis zum 1. Mai 1945 nutzen, denn ab dann wurde die Badeanstalt für unbestimmte Zeit gesperrt, da sich einige Bürger der Stadt beim Einmarsch der Roten Armee hier das Leben genommen hatten. Ersatzmöglichkeiten zum Baden hatten wir dann nur noch an einigen Stellen an der Recknitz, im Bereich der alten Bahnbrücke und an einigen Stellen in den Recknitzwiesen und in den Torflöchern am Judenberg. Doch beim Boden in den Torflöchern fehlte uns anschließend die Dusche, denn noch dem Ausstieg aus dem Wasser war unser Körper mit kleinen Torfkrümmeln bedeckt. Es war ober auch für Nichtschwimmer gefährlich, wenn plötzliche Untiefen auftraten.

Weitere Spielplätze im Bereich der Bahnhofstraße hatten wir damals noch auf dem Kiesgrubenberg in der Nähe des Dachziegelwerkes der Firma Kotze, auf dem Bahnhofsberg und im Bereich der Henningsmühle und des Pludderbochs. Alle diese Orte sind heute, wir schreiben inzwischen das Jahr 2016, fast nicht mehr vorhanden. Nur der Pludderbach, ein zur Bahnhofstraße parallel verlaufender Bach ist geblieben und hat sich nach der Schließung der Chemischen und der Molkerei, Gott sei Dank, wieder renaturiert.

Ich habe diesen Abschnitt „Bahnhofstraße“ mit Aussagen des Chronisten Hugo Hehl begonnen und möchte ihn auch mit weiteren Teilen des Inhalts der Schriften von Hugo Hehl zur Bahnhofstraße beenden, denn diese Straße war mehr als nur ein Verbindungsweg zwischen dem Bahnhof und der Stadt.

Mit dem Bau dieser Straße entwickelte sich ein Ansiedlungsgebiet für viele Unternehmen und Gewerbetreibende. Eine authentische Aussage macht dazu Hugo Hehl im III. Kapitel seiner Niederschrift: „Eine Straße schreibt Geschichte“. Er schreibt unter dem Titel „Handwerk, Kleingewerbe und Industrie auf beiden Seiten der Straße“ mit großer Akribie über die in der Straße ansässigen Unternehmen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als ich auch dort meine Kindheit verbrachte. Einleitend schreibt er in diesem Kapitel:

„In dieser Straße gab es einen Mittagstisch, eine Stellmacherei, eine Deckstation vom Gestüt Redefin, das frühere Gaswerk und ein Elektroumschaltwerk, einen Gärtner, einen Kaufmann, zwei Tischler, einen Lastwagenfuhrbetrieb, einen Schornsteinfeger, zwei Baugeschäfte, ein Landbaubüro, eine Musikschule, einen Kornhändler, eine Möbelfabrik, eine Molkerei und Käserei, ein Milchzuckerwerk, eine Holzpantoffelfabrik, eine Schlosserei, ein Dachziegelwerk, eine Sandsteinziegelei und ein Steinmetzbetrieb. Dazu kamen noch die Speicher der Firmen Gondelach und von Paul Lüth und Sohn, sowie die Anlogen und Gebäude des Bahnhofs.“

Ich erinnere mich persönlich noch sehr gut an die Bahnhofstraße Nr. 4. In einem Eckgebäude war hier eine Außenstelle vom Hengstdepot Redefin eingerichtet. Am Giebel des Hauses war lange Jahre ein stattlicher Pferdekopf angebracht. In diesem Haus wohnte natürlich auch der Gestütswärter mit seiner Familie. Der letzte Bedienstete vom Gestüt war Günter Nock, ein in den ersten Jahren noch 1945 auch als Linksaußen spielender Fußballer in Laage.

In der Bahnhofstraße Nr. 6 gab es den Blumenladen von Gustav Aben. Oben auf dem Friedhofsberg hatte er ein Gartengrundstück mit zwei Treibhäusern, in denen er vorrangig Frühblüher, Kräuter und Salate für seinen Laden aufzog. Von der Großgärtnerei Aderhald in Gehlsdorf ließ er sich, als Eilgut deklariert, mit der Bahn in großen Körben Azaleen, Gloxien und Alpenveilchen schicken, um diese dann im Loden zu verkaufen.

Gleich daneben, in der Bahnhofstraße Nr. 7, wohnte der Bezirksschornsteinfeger Karl Borchert, der gleich noch 1945 eine Buchausleihe betrieb. Sein Sohn Paul Borchert besaß diese Buchausleihe bis 1954 und beglückte uns Kinder damals mit Abenteuerbüchern von Karl May und mit den vielen Abenteuerheften von Rolf Torring und Jörn Farrow. Auch die Kriminalgeschichten von John Klink und die Wild-West-Hefte von Billy Jenkins waren sehr beliebt. Gegen eine kleine Gebühr holten wir uns die Bücher und im Nachtleseschnellverfahren gingen sie von Hand zu Hand. Leider musste diese Bücherei, aus welchen Gründen auch immer, schließen. Es ist wohl anzunehmen, dass der damalige Buchbestand wohl nicht mehr der damaligen Obrigkeit entsprach.

Im Haus Nr. 9 war der Kaufmannsladen von Bruno Krüger, später von Herrn Schmidt, untergebracht. Es war, wie man damals und heute noch so schön sagt, ein kleiner „Tante-Emma-Loden“. Zur DDR-Zeit war hier ein Lebensmittelladen der HO eingerichtet. Für Raucher und Biertrinker war es vom Bahnhof bis zu diesem Laden immer eine lange „Durststrecke“, um Bier oder Zigaretten nachzutanken. Auch wir Kinder gingen noch Kriegsende sehr gerne in diesen Laden, da wir dort einfache Bonbons für wenig Geld bekamen.

Im Haus Nr. 10 hatte der Tischlermeister Albert Simon auf dem Hof eine kleine Tischlerwerkstatt und noch vorne zur Straße hin einen kleinen Laden zum Verkauf

von Kleinmöbeln. Dieser kleine Tischlerbetrieb sorgte Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre für Aufsehen, denn laut Anzeige im Laager Stadtanzeiger lud der Tischlermeister bzw. der inzwischen in Laage gegründete Segelverein zum 13. September 1931 zum Flugtag am Judenberg ein. An diesem Tag sollte ein Schulgleiter vom Typ Opitz seinen Jungfernflug starten, den er in seiner Werkstatt gebaut hatte. Getauft wurde das Flugzeug an diesem Tag auf den Namen „Laager Urvogel“. Doch dieser Urvogel blieb am Boden und das für immer.

Der größte und bedeutendste Betrieb in dieser Straße war wohl das im Jahre 1933 von der Kali-Chemie AG Berlin-Niederschönheide erbaute Werk auf dem Grundstück Nr. 13, bekannt im Volksmund als „Chemische“. Der Name des Betriebes änderte sich zur DDR-Zeit in VEB Milchzuckerwerk Laage. Das Hauptprodukt des Betriebes war, wie der Name schon sagt, Milchzucker (Laktose). Laktose ist ein häufig verwendeter pharmazeutischer Hilfsstoff und ist auch in der Lebensmittelindustrie von großer Bedeutung. Industriell wird Laktose aus Molke gewonnen, einem Nebenprodukt bei der Herstellung von Käse. Hinter vorgehaltener Hand sprach man damals auch immer davon, dass man Laktose auch für die Herstellung von Sprengstoff benötige. Fakt war jedoch, dass der Bedarf auf der ganzen Welt enorm hoch war. Ständige Umhauten, neue Kessel, ein neues Heizhaus mit automatischer Befeuerung und auch die zeitweilige Umstellung auf Steinkohlefeuerung sorgten für ständige Produktionssteigerungen. Die gesamten Materialien, wie die Kohle, der Rohzucker von anderen Molkereien hergestellt, das gesamte Verpackungsmaterial, die Fertigware, alles wurde über die Bahnhofstraße zum Bahnhof hin und her transportiert. Bei diesem enormen Transportaufkommen erwog man dann sogar den Bau eines eigenen Anschlussgleises. Dazu ist es jedoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr gekommen. Trotz der hohen Einnahmen, die der Betrieb und damit auch der Staat erzielten, war keine staatliche Institution bereit oder in der Lage, die großen Umweltschäden im letzten Abschnitt des Pludderbachs aufzuhalten. Vom Milchzuckerwerk bis zur Einmündung in die Recknitz war der Pludderbach zur Kloake geworden. Trotz dieser Negativschlagzeile soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Milchzuckerwerk auch in schweren Zeiten den Laager Einwohnern Gutes angetan hat. Erinnert sei daran, dass der Betrieb im Jahrhundertwinter 1978/1979 allen Familien, die keine Kohle mehr hatten, fünf Zentner zur Verfügung stellte. Auch speisten sie überzähligen Strom in das Netz. Dafür heute noch ein herzliches Dankeschön an alle, die dort gearbeitet haben, angefangen beim Werkmeister Krause, der nach Kriegsende den Stab weitergab an Leo Fischer, an den letzten Werkleiter Günter Görbig und an den Arbeiter Anton Müller, der die Kessel mit Kohle versorgte und an Richard Ahrens, den Vater meines Freundes Gerhard Ahrens, der dort als Stellmacher über Jahre hinweg tätig war. Alle die in diesem Abschnitt genannten Betriebe und Handwerker brachten den Menschen der Stadt und der Umgebung für einige Jahrzehnte Arbeit und Wohlstand.

Heute, viele Jahrzehnte später, sind fast alle diese Betriebe und Unternehmen dem Strukturwandel zum Opfer gefallen. Darunter fällt auch, ich hatte das vorher schon einmal zum Ausdruck gebracht, der Bahnhof. Er ist zwar noch im 21. Jahrhundert angekommen, aber er verfällt mehr und mehr in die Bedeutungslosigkeit. Die Zeit also, als wir Kinder noch oben auf dem Bahnhofsberg lagen und dem Geschehen unten auf den Gleisen zuschauten, ist längst vorbei. Die langen Schwerlastzüge, gezogen von den sibirischen Taigaloks und die wunderbar anzuschauenden 01 -Schnellzugloks, die es immer schwer hatten, den Kronskamper-Anstieg zu bewältigen, fahren heute nicht mehr. Sie sind für immer verschwunden. Nur die Erinnerung bleibt und das sollte auch so bleiben. Aber vielleicht erlebt der Laager Bahnhof noch einmal, vielleicht zwar nur als Durchgangsbahnhof, eine Renaissance, wenn ein durchgängiger ICE-Zug die Strecke von Rostock nach München befahren würde. Das würde für Hugo Hehl, wenn auch verspätetet und für ihn nicht mehr erlebbar, eine nachträgliche Würdigung darstellen.

Im Jahre 1946 oder 1947, ich weiß es heute leider nicht mehr so genau, zogen meine Eltern in die Behelfsheime später Feldstraße genannt, ins Haus Nr. 3. Es war eines von 10 Häusern, die der Sägewerksbesitzer Max Bremer in den 1940er-Jahren für seine Belegschaft hat bauen lassen. Alle 10 Häuser waren vom gleichen Typ, einfach und spartanisch, mit viel Holz, wenig Beton und Steine, viel Lehm und mit ziemlich kleinen Fenstern. Die zur Bauzeit noch vorhandene Einheitlichkeit der Häuser ist in den nachfolgenden Jahren schnell verschwunden. Vorbauten, An- und Ausbauten veränderten die Häuser in den nächsten Jahren. Die Bebauung der gegenüberliegenden Straßenseite und die Bepflasterung der Straße bildeten dann ein komplett neues Straßenbild.

Diese Entwicklung habe ich selbst nicht mehr miterlebt, da wir bereits nach knapp einem Jahr auch diese Wohnung wieder verlassen mussten.

So landeten wir dann schließlich Ende 1947 in der Rosmarienstraße Nr. 3. Das war für mich dann auch die letzte Wohnung in Laage, bevor ich 1966 mit meiner Familie nach Rostock·zog.

Die Rosmarienstraße gehört zu den ältesten Straßen der Stadt. Auf dem von Marotte 1759 skizzierten Grundriss der Stadt Lage ist diese Straße zwar noch nicht als Rosmarienstraße eingetragen, aber der Verlauf der Straße ist bereits eingezeichnet. Nach der ersten Namensgebung, sie liegt sicherlich einige Jahrzehnte, wenn nicht sogar einige Jahrhunderte zurück, hat sich der Name nicht geändert.

Aber das Bild der Straße hat sich grundlegend gewandelt. Im Laufe der Jahrzehnte ist aus einer „Schmuddelstraße“, zu meiner Zeit auch „Fullschettenemmerstrat“ genannt, eine saubere und moderne Straße geworden, die heute mit allen Straßen der Stadt mithalten kann.

Ich wohnte, wie bereits geschrieben, von 1947 bis 1966 in dieser Straße im Haus Nr. 3.

Ein Bild aus dem Jahre 1904 zeigt den Zustand dieser Straße und der Häuser.


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Die meisten Häuser der Straße waren schon sehr alt und in einem ganz schlechten Zustand. Einige stützten sich schon gegenseitig, um nicht in sich zusammenzufallen. Fast alle Häuser hatten einen Hof mit Stallungen und daran anschließend einen Hausgarten, der jeweils auf einem Weg in Richtung Wasserturm oder in Richtung Wasserwerk endete. Ganz schlimm war für die Bewohner der Häuser natürlich die fehlende Kanalisation. Das gesamte Schmutz- und Regenwasser floss oberirdisch über die Rinnsteine der Straße in die Kanalisation der Hauptstraße ab. Unterhalb oder zwischen den Häusern lag ein Abflussrohr, in dem Schmutzwasser aus dem Haus, Regenwasser und Fäkalien aus Mistkuhlen und Viehställen über die Straße abfloss. Im Hochsommer roch es natürlich scheußlich und fatal, zumal auch noch die Abwässer von zwei Schlachthöfen diesen Weg nahmen. Dieses blut- und fäkaliengetränkte Schmutzwasser floss auf beiden Seiten der Straße in den Rinnsteinen in Richtung der zur Hauptstraße gehörenden Gullys. Die fehlende Kanalisation hatte natürlich zur Folge, dass in den meisten Häusern, ich glaube man kann sogar behaupten, in allen Häusern nur Plumpsklos vorhanden waren. Damit war auch zu erklären, warum man diese Straße damals auch „Fullschettenemmerstrat“ nannte.

Die besagten Plumpsklos standen auf dem Hof. Ein kleines Holzhäuschen mit einem Herz in der Tür und mit einem Emmer (Eimer) versehen. War dieser dann full (voll), wurde er auf die Mistkuhle im Hof oder im Garten ausgekippt. Unter diesen fast mittelalterlichen Bedingungen blieb es nicht aus, dass sich auch viel Ungeziefer in den Stallungen und auf den Mistkuhlen einfand. Trotz dieser vielen Unzulänglichkeiten, die diese Straße aufwies, wohnten hier Menschen, die sich in den Sommermonaten abends nach Feierabend vor die Tür setzten, sich über Gott und die Welt unterhielten, rauchten, ihr Bierchen tranken und dabei herzhaft lachten. So verstanden sich alle recht gut, jeder hatte so seine Probleme und immer die neusten Nachrichten zur Hand.

So erbärmlich, wie einige Häuser zur damaligen Zeit äußerlich aussahen, so schlimm sahen auch einige Häuser von innen aus. Dabei stütze ich mich in meinen Erinnerungen ausschließlich auf unsere Situation in der Rosmarienstraße Nr. 3. Der Zustand dieser Wohnung war außerordentlich schlecht. Das Wasser musste von unten vom Flur in Eimern nach oben gebracht werden und das Schmutzwasser konnte nur unten auf dem Hof, in der schon genannten Abflussrinne, entsorgt werden. Der Küchenherd, mit Holz betrieben, war auch nicht mehr allzu neu, aber er funktionierte noch ganz gut. Alle Fenster waren undicht und die Holzrahmen brauchten unbedingt Farbe und waren reparaturbedürftig. Mit zwei ganz schlecht funktionierenden Kachelöfen versuchten wir, in den Wintermonaten die kalte Zeit zu überstehen und das sogar bei sich bildenden Eiskristallen an den Außenwänden im Schlafzimmer. In solch schlechten Verhältnissen lebten meine Mutter und ich einige Jahre. Mein Vater war bereits im Dezember 1948 gestorben und meine beiden Brüder waren noch in Kriegsgefangenschaft, so dass eine Eigenhilfe nicht möglich war. Da die Miete äußerst gering war, hatte der Hauseigentümer keinerlei Anreiz und Interesse, unsere Wohnverhältnisse zu verbessern. Erst viele Jahre danach, wir wohnten dann schon nicht mehr hier, wurde das Haus komplett renoviert. Der Anschluss der Straße an die städtische Kanalisation erfolgte erst viele Jahre später, fast 100 Jahre nach dem Bau der ersten Kanalisation in der Hauptstraße im Jahre 1910.

Trotz dieser langen Zeit der Unzulänglichkeiten, die sich aus dem Zustand der Straße und der Wohnung ergeben hatten, gab es für mich dennoch auch glückliche Momente. In meiner neuen Umgebung lernte ich viele neue Freunde kennen, die alle in der Nähe der Rosmarienstraße wohnten. Dazu zählten Gerd Kress, Sohn des Malermeisters Kress, die Gebrüder Sass aus der Rosmarienstraße Nr. 1, die Gebrüder Jochen und Kurt Ross, Söhne des gleichnamigen Kaufmanns, Fritz Abs, Karl-Otto Bick, die Gebrüder Wolter aus der Pfarrstraße und noch viele andere aus den naheliegenden Straßen. Auch neue Spielplätze und Spielorte, wie der naheliegende Judenberg, die Torflöcher und besonders in den Wintermonaten die zugefrorene Recknitz und die Recknitzwiesen sowie die schneebedeckten Kätwiner Berge,gehörten zu meinem neuen Umfeld. Diese Spielplätze haben wir entsprechend der Jahreszeiten intensiv genutzt.

Im Winter, wenn schon mal Schnee lag, dann zog es uns in die Kätwiner Berge. Mit unseren althergebrachten Schiern machten wir Abfahrtsläufe und sprangen über eine ganz kleine, aus Schnee angehäufte Sprungschanze. Es gab auch mal Zeiten, als im Herbst die Recknitzwiesen überschwemmt waren und die dann später bei Frostwetter eine wunderbare Eisfläche zum Schlittschuhlaufen bildeten. Dann waren zwar nicht die Schlittschuhe das große Problem, sondern die Schuhe, denn die Krallen an den Schlittschuhen zerstörten sehr leicht die Lederschuhe. Eine sehr gute Alternative war dann der kleine Peickschlitten und die dazu gehörende Stange mit einer Eisenspitze zum Abstoßen auf dem Eis. Ein besonderes Ereignis war für mich auch, wann es eigentlich war, kann ich heute nicht mehr genau sagen, wenn wir im Winter bei guter Schneelage die Hauptstraße zur Schlittenbahn machten. Gestartet wurde oben in der Pinnowerstraße vor dem Haus von Kaufmann Barteis und dann ging es ab bis zum Rostocker Tor. Mehrere Schlitten wurden dann zusammengebunden, vorne diente ein Peickschlitten als Steuerung. An diesen schnellen Fahrten beteiligten sich dann auch Erwachsene und, was fast einmalig war, dass die Polizei zeitweilig auch einmal die Straße absperrte. So verbrachten wir die Wintermonate bei Spiel und Spaß.

In den Sommermonaten weilten wir sehr oft im Bereich des Judenbergs. Hier waren es besonders unsere Zirkusspiele, unter Leitung des “ Zirkusdirektors “ Fritz Abs, die uns wochenlang beschäftigten und uns viel Spaß bereiteten.

Erinnern möchte ich abschließend zu dieser Straße noch, dass es in der Rosmarienstraße nur wenig Familien gab, die ein Gewerbe betrieben. So wie ich mich noch erinnern kann, waren es zwei Familien aus der großen „Dynastie“ der Zarmstorffs, die einen handelten mit Fisch und hatten einen kleinen Verkaufsstand auf dem Flur ihres Hauses oder fuhren mit einem zweirädrigen Handwagen durch die Straßen der Stadt.

Die andere Familie betrieb eine Lohnsägerei mit einem umgebauten Opel P4. Auf dem hinteren Teil des Autos war eine Säge installiert, mit der sie in Lohnarbeit Brennholz für Heizungen schnitten. So fuhren sie von Haus zu Haus und boten entsprechende Dienste an. Weiterhin gab es zu dieser Zeit noch die Ackerbürger Paul und Adolf Lagemann und Hanning Schwieger, der eine große Herde Ziegen sein eigen nannte. Neben seinen Ziegen, als eine Besonderheit, war auch sein Haus Nr. 11 schon damals eine Rarität. Es zählte mit zu den ältesten Häusern der Stadt. Im Jahre 2000 erfolgte der Abriss dieses Hauses und ein Neubau schmückt nunmehr diesen Standort.

Mit der Sanierung der Straße im Jahre 1997 und mit weiteren Renovierungen von Häusern in den Jahren danach, vollzog sich ein grundlegender Wandel in dieser Straße. Eine neue Wohnkultur zog in diese Straße ein, die mit der aus meiner Zeit nicht mehr vergleichbar ist.


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Quellen:

Meine unveröffentlichten Lebenserinnerungen
Hugo Hehl, aus seinem unveröffentlichten Manuskript: „Eine Stroße schreibt Geschichte“
Christian Schwießelmann: „Unterm Hakenkreuz und Sowjetstern“
Werbebroschüre 1993, drepharm GmbH
Beiträge von Simon und Wellbrock im „Laager Almanach von 2004“
Christian Schwießelmann im Laager Stadtanzeiger Nr.7 / 2005 und Nr. 3/ 2000


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